Offener Brief an Herr Prof. Dr.-Ing. Wagner
VDI nachrichten, 31. Mai 2013, Nr. 22
TECHNIK & GESELLSCHAFT
Energiewende: „Die Entscheidung ist ehrgeizig, verfolgt aber einen richtigen Weg“
…“ Hermann-Josef Wagner, Vorsitzender der VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt, erläutert im Interview, welche Hausaufgaben eine Bundesregierung nach der Bundestagswahl im September in Angriff nehmen muss.“ …
Dr. Dietmar Ufer
04103 Leipzig, 10. Juni 2013
Grünewaldstr. 1
Herrn
Prof. Dr.-Ing. Hermann-Josef Wagner
Ruhr-Universität Bochum
Lehrstuhl für Energiesysteme und Energiewirtschaft
Universitätsstraße 150
44780 Bochum
Sehr geehrter Herr Professor Wagner,
als langjähriges VDI-Mitglied und als Energiewirtschaftler mit mehr als einem halben Jahrhundert Berufserfahrung habe ich sehr aufmerksam Ihr Interview „Energiewende: Die Entscheidung ist ehrgeizig, verfolgt aber einen richtigen Weg“ in den VDI nachrichten vom 31. Mai 2013 gelesen. Ich gestehe Ihnen: Ich war maßlos enttäuscht von dem, was Sie als Vorsitzender der VDI-Gesellschaft für Energie und Umwelt zur Energiewende zu sagen hatten.
Im Interview weisen Sie mehrfach darauf hin, was getan werden muss, um die „Energiewende“ durchzusetzen: Beispielsweise verweisen Sie auf die Notwendigkeit, Energie einzusparen (die Erhöhung der energetischen Effizienz wird seit mindestens hundert Jahren erfolgreich praktiziert, ist aber nur sinnvoll, wenn sie mit ökonomischer Effizienz verbunden ist), im Verkehrsbereich den Energiebedarf um 40 Prozent zu senken oder etwa 2 Prozent der deutschen Gebäude pro Jahr energetisch zu sanieren. Sie möchten die Genehmigungsdauer für 2800 km neue und 1000 km auszubauende Hochspannungstrassen reduzieren, indem Sie unliebsame „Einzelklagen“ besorgter Bürger verhindern wollen.
Als Ziel betrachten Sie es, „erneuerbare Energien zu bevorzugen“. Als Erfolg auf die-sem Wege sehen Sie, dass „Windenergie und Sonnenenergie … heute in Deutschland über das Jahr gesehen 15 % des Stromverbrauchs“ decken und „derzeit schon 32 GW Windanlagen und 34 GW Photovoltaikanlagen installiert“ sind. Ich gestehe, dass ich sehr nachdenklich wurde, als ich in Ihrem Interview lesen musste, dass wir in zwei oder drei Jahren an „einem wind- und sonnenreichen Wochenende mittags … 100 % unseres Stromverbrauchs mit Wind- und Sonnenenergiestrom decken können.“ Meinen Sie wirklich, dass das irgendeine energiewirtschaftliche Relevanz besitzt? Es handelt sich hier um maximal ein bis zwei Stunden unter außerordentlich günstigen und relativ seltenen meteorologischen Bedingungen. In dieser Zeit müssten alle konventionellen Kraftwerke ihre Leistung auf Null zurückfahren, um eventuell 10 Minuten später, wenn eine Windflaute eintritt oder sich die Sonne hinter Wolken versteckt, wieder am Netz zu sein? Wollen Sie damit etwa ausdrücken, dass das einige Jahre später auch fünf, sechs oder gar 24 Stunden und vielleicht noch später nicht nur als Wochenenden, sondern sogar ganzjährig, auch in windstillen Winter-nächten, möglich sein könnte? Sie wissen sehr genau, dass der Gedanke an eine derartige Entwicklung utopisch – besser: unsinnig – ist! Zwar verweisen Sie auf die Absicht der Bundesregierung, die Energiespeicherung zu fördern, wissen aber darüber nicht mehr zu sagen, als dass es sich hier um eine nicht finanzierbare Technik handelt. Ich muss Sie nicht darauf hinweisen, dass die Speicherung ohnehin schon überteuerter Energie aus alternativen Quellen die Stromkosten für Durchschnittsbürger und sehr viele Unternehmen praktisch unbezahlbar machen würde.
Recht weltfremd erscheint mir Ihre Vorstellung, man könne auch in Zukunft überschüssigen Strom aus deutschen Wind- und Solaranlagen exportieren. Die daraus entspringenden Export-Erlöse, die bekanntlich zeitweise auch negativ sind, lassen Sie vorsichtshalber völlig unberücksichtigt! Und wenn andere Länder, von denen Sie annehmen, dass auch die größere Wind- und Photovoltaikkapazitäten aufbauen, ihrerseits überschüssigen Strom nach Deutschland liefern wollen? Hat die VDI-Gesellschaft für Energie und Umwelt eine Antwort darauf?
Es ließ sich im Interview wohl nicht vermeiden, auf die Kosten der „Energiewende“ hinzuweisen. Sie konstatierten – sinngemäß identisch mit der inzwischen sattsam bekannte Politiker-Phrase „Die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben“: „Die Energiewende kostet Geld“. Auch Sie stellten fest, dass es „politische Forderungen gibt, die Energiekosten zukünftig nicht mehr ansteigen zu lassen“. Von ebenfalls laut geäußerten Forderungen, die Energiekosten zu senken, war bei Ihnen nichts zu lesen. Ihr „Lösungsvorschlag“: „Die neue Bundesregierung wird erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um die Strompreiserhöhungen in Grenzen zu halten“. Weiß der VDI, welche „Anstrengungen“ das sein sollen? Und wo sind die „Grenzen“ einer – Ihrer Meinung nach nicht zu vemeidenden – Strompreis-Erhöhung?
Sie bringen zusätzliche Belastungen der Industrie durch höhere Strompreise (Ab-schaffung der EEG-Kostenbefreiung) ins Spiel, obwohl sehr gut bekannt ist, dass das für die Stromrechnung der Bevölkerung kaum Entlastungen bringen dürfte. Es ist sehr interessant, dass auf der gleichen Seite der VDI nachrichten, auf der Ihr Interview erschien, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unterneh-merverbände (VhU), Volker Fasbender, erklärte: „Industriearbeitsplätze zu sichern ist wichtiger als private Stromrechnungen zu schonen.“ – Wie sieht das die VDI-Gesellschaft für Energie und Umwelt?
Sie haben aber auch ein „konkretes“ Rezept zur Finanzierung der „Energiewende“ zu bieten: „Um auch Energieeinsparungen im Gebäudesektor voranzubringen, wird man mehr Anreizprogramme schaffen müssen.“ Sie wissen, wer diese Anreizprogramme finanziert: Der Steuerzahler, der als Energieverbraucher zugleich der Finanzier der „Energiewende“ ist! Oder kennen Sie angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise an-dere Geldquellen?
Wie Pfeifen im Wald hört sich Ihre Beteuerung an, dass die „Energiewende“ Deutschland „viel Nutzen“ bringen würde, weil wir die – in Deutschland schon nicht bezahlbare – „Energiewende“-Technik exportieren könnten. Sie setzen dabei voraus, dass andere Industrieländer die gleichen energiepolitischen Geisterfahrten unternehmen wie Deutschland.
Insgesamt enthält Ihr Interview eine Menge ungelöster technischer, ökonomischer und politischer Probleme der „Energiewende“ (Umwelt-Probleme haben Sie gar nicht angesprochen). Lösungsvorschläge, die zu einer wirtschaftlichen, zuverlässigen und umweltfreundlichen Energieversorgung führen („Strategisches Zieldreieck der Energiepolitik“), waren an keiner Stelle Ihrer Ausführungen zu erkennen. Das alles hielt Sie aber nicht davon ab, die politische Entscheidung für die „Energiewende“ als „richtig“ zu bewerten.
Sie erklärten: „Die angestrebten Ziele – Energieeinsparung, langfristig weg von fossilen Energieträgern und Kernenergie hin zu erneuerbaren Energien – sind, vor dem Hintergrund der angespannten weltweiten Energiemärkte und der Notwendigkeit Klimaschutz zu betreiben, richtig.“ Wenn das Begründungen für die Notwendigkeit der völligen Umgestaltung der deutschen Energiewirtschaft sein sollen, so halte ich sie für extrem düftig, sogar für falsch!
Welche „angespannten weltweiten Energiemärkte“ haben Sie denn im Auge? Es gibt keinen Energiemangel – nicht heute und auch nicht in 50 oder 100 Jahren, folglich auch keine „angespannten Energiemärkte“! Ich muss Sie wohl nicht auf die Tatsache hinweisen, dass sich die USA auf dem Wege vom Energieimporteur zum Energieex-porteur befinden, dass insgesamt Kohle-, Erdöl- und Erdgas-Vorräte für mehrere Jahrhunderte verfügbar sind, dass immense Vorkommen von Uran und Thorium bekannt sind, die für Millionen Jahre reichen, und dass die Menschheit an der Erforschung der Kernfusion arbeitet. Welche weiteren Ideen unseren Nachkommen zur Deckung des ständig wachsenden (!) Energiebedarfs noch einfallen werden, können weder Sie noch ich absehen. Welchen Energiemangel soll denn die deutsche „Energiewende“ beheben? Warum wohl wollen Sie „weg von fossilen Energieträgern und Kernenergie“, wenn doch beide nahezu unbegrenzt verfügbar sind?
Woraus leiten Sie die „Notwendigkeit Klimaschutz zu betreiben“ ab? Wovor soll denn das Klima eigentlich geschützt werden? Wenn Sie unter „Klimaschutz“ verstehen, weniger von dem lebensnotwendigen Spurengas CO2 zu emittieren, um die Temperaturen nicht steigen zu lassen, dann möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass trotz weiter steigender Emissionen die Durchschnittstemperaturen weltweit in den letzen 15 Jahren nicht – wie vorhergesagt – gestiegen, sondern gefallen sind. Diese Tatsache beweist, dass mathematische Modelle keine Klimaprognosen ermöglichen, was übrigens schon 2001 vom IPCC festgestellt wurde: „In climate research and modelling we should recognize, that we are dealing with a coupled nonlinear chaotic system, and therefore that the long-term prediction of future climate states is not possible“. (Third Assessment Report, Section 14.2.2.2, S.774). Bekannt sein dürfte Ihnen auch, dass es bisher nicht einen einzigen wissenschaftlichen, d. h. messtechnisch belegten, Nachweis für Temperaturerhöhungen als Folge eines steigenden CO2-Gehalts der Atmosphäre gibt. Wenn der VDI über einen solchen Nachweis verfügen würde – der Nobelpreis (und zwar der für Physik!) wäre ihm sicher!
Und warum wollen der VDI und Sie persönlich auf die Kernenergienutzung verzichten? Glauben etwa auch Sie an die Unbeherrschbarkeit, an die unermessliche Gefährlichkeit dieser Technik? Nicht einmal Forschungen auf diesem Gebiet oder gar den Ersatz heutiger Kernkraftwerke durch modernere (andere Länder praktizieren das!) wollen Sie zulassen? Brütertechnologie und Transmutation, über die in Deutschland noch nicht einmal gesprochen wird, werden alle Debatten über die „Endlagerung“ gegenstandlos machen. Es ist in der modernen Technikgeschichte ein wohl einmaliger Akt, dass durch die Politik die Forschung auf einem technisch höchst wichtigen Gebiet untersagt wird! Und der VDI findet kein Wort der Erwiderung, sondern unterwirft sich demütig grün-ideologischen Forderungen!
Ich hätte erwartet, dass Sie angesichts der vielen technischen Probleme, für die zum großen Teil noch nicht einmal Lösungsansätze erkennbar sind, und der riesigen Kosten, die auf uns zukommen werden – sogar Bundesumweltminister Peter Altmaier sprach von einer Billion Euro, einer m. E. sehr geschönten Zahl – die Frage aufwerfen, ob die „Energiewende“ überhaupt notwendig ist. Warum fragen Sie nicht, warum wir eine gut funktionierende, wirtschaftliche und umweltfreundliche Energieversorgung durch eine in jeder Beziehung unsicheres unbezahlbares und umweltschädliches System ersetzen müssen? Warum wollen wir plötzlich die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, den Wohlstand der Bürger und die Umwelt in Gefahr bringen? Können Sie und der VDI verantworten, dass durch die Abwanderung großer Teile der Grundstoffindustrie infolge überhöhter Energiepreise hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet werden?
Vom VDI, dem ich seit vielen Jahren angehöre, hätte ich solche Fragestellungen erwartet! Die Wiederholung von Glaubenssätzen und die damit verbundene bedin-gungslose Unterwerfung unter das „Primat der Politik“, wie sie im Interview zu finden sind, hilft möglicherweise bestimmten politischen Kräften, nicht aber Bürgern, der Wirtschaft, der Technik oder gar der Wissenschaft!
Eine ehrliche Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit der „Energiewende“ kann nur lauten: Die Entscheidung war falsch! Ich weiß: Diese Antwort ist nicht „politisch korrekt“, aber sie ist technisch, ökonomisch, sozial und – nicht zuletzt! – wissenschaftlich korrekt!
Wenn nicht einmal der VDI mit seinem großen Fachpotenzial den Mut aufbringt, sachlich über Sinn und Unsinn der „Energiewende“ zu sprechen, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn immer mehr Fachleute resignieren und den VDI verlassen! Noch schlimmer: Mit Ihrem Verhalten stoßen Sie begabte junge Menschen von der Beschäftigung mit bedeutenden traditionsreichen Zweigen der Energietechnik ab. Nicht nur Ihr Interview, sondern das gesamte opportunistische Verhalten des VDI (einschließlich VDI nachrichten) führt dazu, offenen Debatten zu energiepolitischen Grundsatzfragen völlig zu unterbinden! Will das der VDI wirklich?
Ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass ich von Ihnen keine Antwort auf diese mich – und viele andere Fachkollegen – bewegenden Fragen erhalten werde. Daher erlaube ich mir, diesen Brief einem weiten Kreis von Fachleuten zur Kenntnis zu geben – mit der Absicht, auf diese Weise eine offene Diskussion zur „Energiewende“ in Deutschland in Gang zu setzen.
Mit freundlichen Grüßen